Angst vor dem eigenen Hund

Bleibt das Verhältnis zwischen Hund und Besitzer über längere Zeit unreguliert und allzu locker, wird der Hund, weil es seinem Naturell entspricht, allmählich die Zügel "in die eigene Pfote" nehmen. Was wir Trainer dann am Hundeplatz zu sehen bekommen, sind respektlose Hunde, die ihre Besitzer maßregeln - und Menschen, die das nicht einmal bemerken. So ein Fall kam mir zuletzt unter: Eine Dame reiferen Alters erschien mit ihrer Schäferhündin im Training. Ihr Ziel: eine Begleithundeprüfung. Die Hündin: prächtig, wenn auch etwas untersetzt, aber total eigenmächtig und völlig ungehobelt. Die Frau hing an ihrem Hund dran wie ein Kind, das einen Drachen steigen lässt. Die Hündin machte sich den Platz in wenigen Minuten zu eigen, zeigte kleinere Drohgebärden anderen Hunden gegenüber und ignorierte alles, was von ihrer Besitzerin kam. Meine Standardfrage in diesen Situationen: Was hat der Hund schon gelernt? "Wir waren im Welpenkurs." "Wie alt ist der Hund?" "Drei Jahre." "Und seit dem Welpenkurs?" "Wir haben selber geübt ..."

 

Die Idee einer Prüfung schwand bei mir rapide, denn hier war Basisarbeit zu leisten. Ich begann mit kleinen Rufübungen, um einmal die Bindung zwischen beiden ermessen zu können. Witzig, wie ein Hund, der gerufen wird, nur scheinbar zum Besitzer läuft - denn tatsächlich umrundete dieser seinen Menschen, machte einen lässigen Schnapper auf dessen Futterhand hin und lief ungehindert weiter. Der Rückruf funktionierte einigermaßen, doch zu meiner großen Verwunderung sprang die Hündin dann an ihrer Besitzerin hoch - ein vermeintlicher "Ach, wie lieb!"-Moment - hielt sich an ihrem Arm fest und rammelte an der Frau herum. Korrektur? Fehlanzeige! "Sie ist ja eh brav gekommen!"

 

Als ich der Dame sagte, sie müsse das Rammeln der Hündin strikt untersagen, kam folgende Frage: "Aber, wenn ich den Hund korrigiere, kann es dann nicht sein, dass er mir gegenüber aggressiv wird?" Die Frage ist berechtigt und die Antwort ist: Ja. Das wäre allerdings über kurz oder lang sowieso passiert und die Situation wird nicht besser, indem man seinen Hund gewähren lässt. Was mir zeigt, dass manche Hundebesitzer ohnehin ein gutes Gespür dafür haben, dass ihr Hund die Linie der Zuverlässigkeit schon überschritten hat. Allerdings: Ich kann doch ein Aufreiten des Hundes nicht dulden, nur damit er nicht aggressiv wird? Auch der erwähnte Schnapper in Richtung der Futterhand war schon ungebührlich und hatte mir gezeigt, dass der Hund hier mehr Führungsanspruch innehatte als seine Besitzerin. Nur: Dabei kann man es auch nicht bewenden lassen.

 

Eine Kurskorrektur ist bei jedem Hund in jedem Alter möglich, aber sinnvoll nur dann, wenn der Besitzer unerwünschtes Verhalten wirklich abstellen möchte. Kommt der Hund nur einmal damit durch, steht man wieder am Anfang. Daher sollten sich Hundebesitzer, die ein bestimmtes Verhalten ändern wollen, vor dem Trainingsbeginn fragen, ob es sie genug "stört", um am Ball zu bleiben. Grauzonen kennt der Hund nämlich nicht. Meine Erfahrung ist jedenfalls, dass sich Hunde, die Grenzen kennen, sehr souverän innerhalb dieser bewegen und nur sporadisch hinterfragen, ob der Rahmen ihrer Möglichkeiten eventuell noch auszudehnen wäre. Rüden natürlich öfter als Hündinnen, aber auch hier kommt es in zyklischer Regelmäßigkeit vor.

 

Gerade in Situationen, in denen es gefährlich werden kann (wie zum Beispiel im Straßenverkehr), müssen die Regeln erlernt, auftrainiert und danach in Folge immer wieder aufgefrischt werden. Weil es die hundertprozentige Zuverlässigkeit bei Hunden eben einfach nicht gibt. Sicher ist aber eines: Führung ist niemals eine Frage der Leine, Führung ist immer eine Frage der Kompetenz.

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